Endlich verstehen wir uns! Fachtagung betont Bedeutung einer professionellen Sprachmittlung


Hannover, 2. September 2022. Wie kann die sprachliche Verständigung mit Menschen gelingen, die als Geflüchtete nach Deutschland kommen? In Kommunalverwaltungen, Beratungsstellen, Kindergärten und Schulen stellt sich diese Frage angesichts der hohen Zahl an Geflüchteten aus der Ukraine dieses Jahr wieder mit besonderer Dringlichkeit. Aber auch andere Migrantinnen und Migranten, die über keine oder geringe Deutschkenntnisse verfügen, benötigen in vielen Lebenssituationen qualifizierte Sprachmittlung (Dolmetschung) damit sie gleichberechtigt teilhaben können.

Gerade im ländlichen Raum fehlt es jedoch oft an entsprechenden qualitativen Angeboten. Das Projekt SPuK Bund 4 zielte in seiner zweijährigen Laufzeit darauf ab, Sprachmittlungsangebote in Niedersachsen und bundesweit, vor allem im ländlichen Raum, zu stärken und zu professionalisieren. In den Projektstandorten Helmstedt, Kassel und Cuxhaven konnten mit Unterstützung des Projektes Angebote weiterentwickelt werden. Seit März diesen Jahres wurden in Helmstedt Sprachmittlungstermine im Umfang von mehr als 400 Stunden geplant und durchgeführt, in Cuxhaven waren es von Januar bis Juli 2022 bereits mehr als 700 Stunden und in Kassel mehr als 800 Stunden. An Online- und Präsenzveranstaltungen sowie Beratungsangeboten der Projektpartner nahmen mehr als 150 Fachpersonen teil und in 29 Fortbildungen in Kassel, Cuxhaven und Helmstedt wurden die Kenntnisse und Kompetenzen der Sprachmittelnden der dortigen regionalen Netzwerke erweitert und vertieft.

Mit einem Fachtag ist in Hannover nun das Projekt abgeschlossen worden. Vertreterinnen und Vertreter von Sprachmittlungsangeboten, Kommunen und weiteren Akteuren nutzten die Möglichkeit, um aktuelle Aspekte und Entwicklungen des Themenfeldes Sprachmittlung von verschiedenen Seiten zu beleuchten.

In Workshops und Vorträgen beschäftigten sich die Tagungsteilnehmenden zum Beispiel mit der Frage, wie die Terminvermittlung für Sprachmittlungen effektiver gestaltet werden kann oder wie geeignete Aufnahmeverfahren für Sprachmittelnde gestaltet sein können. Dr. Rebekka Ehret, Dozentin der Hochschule Luzern, erläuterte in ihrem Vortrag, dass Kultur nicht als abgeschlossen und gleichbleibend verstanden werden sollte. Sie plädierte dafür, die Mehrfachzugehörigkeit von Menschen zu verschiedenen Dimensionen von Vielfalt wie Alter, Geschlecht, Bildung etc. wahrzunehmen und sich eigener Vorurteile gegenüber Geflüchteten bewusst zu werden. So sollte Sprachmittlung nicht als Kulturmittlung verstanden werden, sondern es sollte mit Hilfe der Dolmetschung ein individueller Blick auf die Vielfältigkeit der einzelnen Person angestrebt werden.

Die Autorin Olga Grjasnowa wies in der Lesung aus ihrem Buch „Die Macht der Mehrsprachigkeit“ darauf hin, dass verschiedene Sprachen in Deutschland weiterhin sehr unterschiedliche Wertschätzung erfahren. Auch würde an vielen Arbeitsplätzen zwar die Mehrsprachigkeit des Personals genutzt, aber nicht als besondere Kompetenz anerkannt. Insgesamt hinkt aus ihrer Sicht die Politik der gesellschaftlichen Entwicklung hinterher, denn Mehrsprachigkeit sei bereits und werde immer mehr zur demographischen Realität.

Sprachmittlung weiter ausbauen
In der Abschlussdiskussion wurde deutlich, dass Sprachmittlungsangebote in vielen Regionen Deutschlands noch deutlich weiterentwickelt werden sollten, um eine gelingende sprachliche Verständigung in den Bereichen Soziales, Bildung, Verwaltung und Medizin zu erreichen. Auch Finanzierungslücken und -unklarheiten erschweren es, dass Sprachmittlung in der Praxis bedarfsorientiert eingesetzt wird und dass sich ein Bewusstsein für die notwendige Qualität des Angebotes entwickeln und etablieren kann. Viele Teilnehmende waren sich in der Diskussionsrunde einig, dass die aktuell für Geflüchtete aus der Ukraine ermöglichten Sprachmittlungen in Zukunft auch für die Verständigung mit anderen Migrant*innen zur Verfügung stehen sollten. Der Anspruch auf Sprachmittlung sollte gesetzlich verankert werden. So würden Sprachmittlungsstrukturen zu einem beständigen Instrument werden, welches eine Überwindung von Sprachbarrieren ermöglicht. Dies würde einen gleichberechtigten Zugang schaffen und auch dem Fachpersonal die Arbeit erleichtern – Ziel sei eine „Sprachmittlung für alle“.

Insgesamt bot der Fachtag Raum für einen lebhaften Austausch und motivierte die Teilnehmenden, sich für qualitative Sprachmittlung und eine diversitätsorientierte Öffnung einzusetzen. Der Projektverbund plant seine Arbeit fortzusetzen und gab den Gästen mit zwei neu erarbeiteten Leitfäden zur „Professionalisierung von Sprachmittlungsangeboten im ländlichen Raum“ und zur „Refinanzierung von Sprachmittlungsleistungen“ hilfreiche Materialien an die Hand, um sie hierbei zu unterstützen.

Weitere Informationen zum Projekt finden Sie hier auf unserer Webseite: www.spuk.info/spuk-bund-4